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Illegales Glücksspiel: Deutschland europaweit einer der attraktivsten Märkte?

Der Umfang des illegalen Glücksspielmarktes in Deutschland bleibt weiterhin ein enormes Problem, dass sich nicht immer leicht erfassen lässt. Ein Interview mit Prof. Dr. Tilman Becker und Robert Hess.

Robert Hess: Herr Professor Dr. Becker, landauf und landab wird derzeit über das massive Anwachsen von illegalen Glücksspielangeboten berichtet, so auch zuletzt in FRONTAL im ZDF. Sie sind seit Jahrzehnten ein profunder Kenner des Glücksspielmarktes. Wie ist Ihre generelle Einschätzung?

Prof. Dr. Tilman Becker: Bei den illegalen Angeboten ist zwischen stationären Angeboten und Online-Angeboten zu unterscheiden. Die Deutsche Automatenwirtschaft geht davon aus, dass auf ungefähr 180.000 legale Geldspielgeräte mit den vorgeschriebenen Spielerschutzmaßnahmen und digitalen Kontrollmechanismen aller steuerpflichtigen Umsätze mittlerweile mindestens 50.000 illegale Glücksspielgeräte kommen. Der illegale Marktanteil in Bezug auf die Anzahl der Geräte würde damit bei 22 Prozent liegen. Düsseldorf Competition Economics schätzt basierend auf Zahlen des Arbeitskreises gegen Spielsucht e.V. in einer Studie im Auftrag des Verbandes der Deutschen Automatenindustrie die Anzahl legaler Geldspielgeräte auf 137.000 und würde damit auf einen höheren Anteil illegaler Geräte kommen.

Da davon auszugehen ist, dass die Umsätze an einem illegalen Geldspielgerät deutlich höher ausfallen, als an einem legalen Geldspielgerät, dürfte der Markanteil in Bezug auf die Einsätze der Spieler noch deutlich höher als 22 Prozent ausfallen. Düsseldorf Competition Economics geht von einer Schwarzmarktquote von 30 bis 46 Prozent aus.

Wenn selbst über die Anzahl der legal aufgestellten Geldspielgeräte Uneinigkeit besteht, umso mehr ist dies bei Angaben zu dem Schwarzmarkt und dort insbesondere im Online-Bereich zu erwarten.

Die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder geht in ihrem Jahresbericht für Ende Dezember 2022 von einem Umsatzanteil des illegalen Online-Marktes in der Höhe von 2 Prozent bis 4 Prozent aus. Zu erheblich anderen Zahlen kommt der Deutsche Sportwettenverband. Dieser schätzt den Anteil des illegalen Marktes bei Sportwetten auf 50 Prozent. Eine Studie im Auftrag des Deutschen Online Casinoverbandes kommt zu dem Ergebnis, dass Spieler die Hälfte der „Spielzeit“ im illegalen Raum verbringen. Der Deutsche Online Casinoverband schätzt dementsprechend den Umsatzanteil des Schwarzmarktes auf 75 Prozent.

Diese Studie basiert auf dem von Nielsen Media aufgebauten Online-Meterpanel „Digital Content Measurement DCM“, welches aus ca. 25.000 in Deutschland aktive Konsumenten besteht. Die Teilnahme am Panel ist freiwillig. Der Untersuchung im Auftrag des Deutschen Online- Casinoverbandes liegen die Bewegungspfade von etwas über 1000 Panelmitgliedern auf circa 520 Online-Glücksspielseiten zu Grunde. Die Teilnehmer an dem Panel lassen eine Tracking-Software auf Ihren Geräten installieren. Als Belohnung können die Teilnehmer Punkte im Wert von über €100 pro Jahr durch einen Willkommensbonus, monatliche Auszahlungen, Extra-Punkte für mehrere Geräte und Treue-Punkte für lange Mitgliedschaft erhalten. Hier stellt sich die Frage, wer ist bereit, für Gutscheine im Wert von 100 Euro im Jahr sein gesamtes Online-Verhalten tracken zu lassen? Weiterhin stellt sich hier die Frage, ob überhaupt tatsächliche Teilnehmer an illegalen Online-Angeboten unter den Panel-Mitgliedern zu finden sind. Hier sind doch ganz erhebliche Zweifel an der Aussagekraft dieses Panels für die Fragestellung angebracht. Umso erstaunlicher ist das Ergebnis, dass die Panelteilnehmer laut der Studie genauso viel Zeit auf legalen wie auf illegalen Internetseiten verbringen sollen.

Wenn alle Teilnehmer an dem Online-Glücksspiel in Deutschland befragt werden könnten, könnte die Schwarzmarktquote relativ gut berechnet werden. Da es sich hier jedoch um eine kleine Gruppe handelt, die sicherlich auch nicht sehr auskunftswillig sein dürfte, sind Bevölkerungsumfragen hier nicht geeignet. Auch die Befragung von Teilnehmer an einem bestehenden Online-Befragungspanel dürfte nicht sehr zielführend sein. Es ist nicht davon auszugehen, dass Personen, die illegal im Schwarzmarkt tätig sind, an einem solchen Panel teilnehmen oder sich durch die Teilnahme an einem solchen Panel mit ihren persönlichen Daten zu erkennen geben.

Einige Methoden zur Schätzung des Schwarzmarktes sind hierfür besser geeignet, andere weniger. Je nach Untersuchungsmethode werden die Ergebnisse anders ausfallen. Nur in einer Zusammenschau der Ergebnisse einer Reihe von Methoden lassen sich einigermaßen gesicherte Aussagen über den Schwarzmarktanteil machen.

Nach Angaben der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder gibt es Stand Dezember 2022 bei Sportwetten 199 deutschsprachige Internetseiten und bei Casinospielen 804 deutschsprachige Internetseiten. Demgegenüber stehen derzeit 37 Internetseiten erlaubter Anbieter von Sportwetten und 120 Internetseiten erlaubter Anbieter von Casinospielen. Gemessen an der Anzahl der deutschsprachigen Angebote im Internet würde die Schwarzmarktquote bei Sportwetten bei 84 Prozent liegen und bei Casinospielen bei 87 Prozent.

Natürlich sagt die Anzahl deutschsprachiger Angebote im Internet nur sehr eingeschränkt etwas über den Marktanteil bzw. die Schwarzmarktquote aus. Um zu einer genaueren Schätzung zu kommen, wären die Werbeausgaben der legalen Unternehmen und der illegalen Unternehmen, die Präsenz bei den Suchmaschinenergebnissen, die Präsenz in den sozialen Medien und auf Vergleichsseiten, die Präsenz auf Affiliate Webseiten und weitere Informationen heranzuziehen. Auch ein Vergleich mit anderen Ländern könnte hier hilfreich sein, wobei die unterschiedlichen Rahmenbedingungen insbesondere bei den Abgaben zu berücksichtigen wären.

Weiterhin wäre zwischen der Anzahl der Spieler und den Umsätzen zu unterscheiden. Es wäre denkbar, dass Gelegenheitsspieler vor allem auf legalen Seiten spielen und dass die High-Roller vor allem auf illegalen Seiten zu finden sein werden. Kürzlich wurde in einer Umfrage unter Mitgliedern in einem Online Casino Forum gefragt, unter welcher Lizenz am liebsten gespielt wird. 17 Prozent spielten am liebsten bei Anbietern mit einer deutschen Lizenz, 20 Prozent bei Anbietern mit einer Lizenz aus Malta und 62 Prozent bei Anbietern aus Curacao. Für eine Person, die häufig spielt, ist die Auszahlungsquote ganz entscheidend. Diese ist bei Anbietern mit einer deutschen Lizenz sehr viel geringer, als bei Anbietern mit einer maltesischen Lizenz oder gar einer Lizenz aus Übersee.

Weiterhin ist für einige Spieler die Teilnahme an Live Casinospielen, wie Roulette oder Black Jack, von großem Interesse. Von einem Anbieter mit einer deutschen Lizenz dürfen diese Spiele nicht angeboten werden.

Hess: Ziel des Glücksspielstaatsvertrages war es ja, die illegalen Online-Angebote im Bereich Sportwetten und virtuellem Automatenspiel (Casino) zurückzudrängen. Ist das gelungen? Die beiden Verbände in Deutschland beklagen ja massiv die illegale Konkurrenz.

Becker: Mit dem Glücksspielstaatsvertrag 2021 wurde das legale Angebot von Sportwetten und virtuellem Automatenspiel im Internet deutschlandweit möglich. Davor gab es mit der Ausnahme von Schleswig-Holstein kein legales Angebot. Von daher ist es sicherlich gelungen, illegale Online- Angebote im Bereich Sportwetten und virtuellem Automatenspiel zurückzudrängen. Doch dürfte das illegale Angebot immer noch einen ganz erheblichen Umfang aufweisen. Um diesen Umfang genauer zu beziffern, wären weitere wissenschaftliche Untersuchungen notwendig. Dabei sollten unterschiedliche Ansätze gewählt werden, wie oben ausgeführt, und die Ergebnisse miteinander verglichen werden.

Es gibt nicht den einen Ansatz, der zuverlässige Angaben zu dem Schwarzmarkt ermöglicht. Die Ergebnisse von viele unterschiedlichen methodischen Ansätze ergeben erst in einer Zusammenschau eine einigermaßen solide Schatzung. Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg. Leichter möglich ist es, die Entwicklung über die Zeit nachzuvollziehen, also ob der Schwarzmarkt wächst oder schrumpft.

Hess: Was macht es legalen Anbietern so schwer im Wettbewerb mit illegalen Anbietern, die nicht auf der Whitelist der GGL stehen?

Becker: Als wichtigster Hinderungsgrund wäre hier die hohe Besteuerung in Deutschland zu nennen. Wenn ein legaler Anbieter nicht dauerhaft Verluste machen will, muss die Auszahlungsquote deutlich unter 95 Prozent liegen. Aus Grund der Besteuerung können illegale Anbieter eine um 5 Prozent höhere Auszahlungsquote anbieten. Beispielsweise könnte ein illegaler Anbieter eine Auszahlungsquote von 99 Prozent und ein vergleichbarer legaler Anbieter nur eine Auszahlungsquote von 94 Prozent bieten. Damit kann ein Spieler mit dem gleichen Einsatz fünfmal länger spielen, wenn er bei einem illegalen Anbieter spielt, als bei einem legalen Anbieter. Gerade für die Spieler, die intensiv spielen, dürfte dieser Grund ausschlaggebend sein.

Hinzu kommt, dass ein Spieler, der gern Black Jack oder Roulette spielen möchte, dies nur von einem illegalen Anbieter angeboten bekommt. Auch ist der Umfang der angebotenen Wetten bei den illegalen Sportwettenanbietern größer.

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass der legale Markt und der illegale Markt praktisch kommunizierende Röhren darstellen. Je attraktiver der illegale Markt, umso weniger attraktiv ist der legale Markt. Je weniger attraktiv das illegale Angebot ist, umso attraktiver wird das legale Angebot. Je schärfer gegen illegale Anbieter vorgegangen wird, umso geringer wird das illegale Angebot ausfallen. Während in anderen Ländern durch die Blockierung von illegalen Webseiten im Internet vorgegangen wird, ist dies in Deutschland derzeit rechtlich nicht möglich.

Angesichts der hohen Steuerabgaben und angesichts der Schwierigkeiten beim Vorgehen gegen illegale Angebote, dürfte Deutschland europaweit einer der attraktivsten Märkte für ein illegales Angebot sein. Nach meiner Einschätzung liegt der Umsatzanteil des Schwarzmarktes bei Sportwetten und dem virtuellen Automatenspiel in Deutschland im zweistelligen Bereich und ist bei dem virtuellen Automatenspiel deutlich höher als bei den Sportwetten. Doch genauere Angaben lassen sich derzeit nicht machen.

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