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Profil / Palermo im Hausruckviertel

Bild © Spieler-Info

 

 

 

 

 

Verfahren gegen eine mutmaßlich kriminelle Glücksspiel­-Organisation aus Oberösterreich: Ein Gutachter vermutet Abgabenhinterziehung in Millionenhöhe. Die Behörden ermitteln auch gegen einen Mitarbeiter des Magistrats Linz – und untersuchen Verbindungen zur FPÖ.

Die Ermittler wissen genau, wonach sie suchen, als sie im Juli 2021 zu einer Razzia nach Oberösterreich ausrücken. An 13 Adressen schlagen 140 Beamte zu, durchsuchen Büros, Villen und Lagerhallen, die alle zu einer Gruppierung gehören sollen, die seit über einem Jahr­zehnt Millionengewinne mit illegalem Glücksspiel macht. Die ersten Funde erfül­len jedes Mafia-Klischee: Die Beamten be­schlagnahmen zwei Pistolen, eine Lang­waffe, 750 illegale Glücksspielautomaten und in der Villa des Hauptverdächtigen fin­den sie über 100.000 Euro Bargeld.

Gut aus Ermittlersicht, aber nicht gut ge­nug. Denn das Bundeskriminalamt ist ei­gentlich an etwas anderem interessiert. Der Einsatz wird 22 Stunden dauern, bis bei der zwölften Hausdurchsuchung ein Insider einknickt und den entscheidenden Hinweis gibt, der die Kriminalisten zu ihrem Jackpot führt: zum Serverraum, auf dem die Umsätze der konzessionslosen Glücksspielautomaten und die E-Mails der Gruppe gespeichert sind.

Ein Datenschatz.

Eineinhalb Jahre später steht im Ermitt­lungsakt, dass die Causa der „derzeit größte Datenfall im gesamten Bundesgebiet“ sei.

Seit dem Zugriff im Sommer 2021 wühlt sich eine Spezialeinheit im Bundeskrimi­nalamt durch elf Millionen Datensätze. Ihr Ziel: belastendes Material über die derzeit 16 Beschuldigten zu finden, die von der Staatsanwaltschaft Wels verdächtigt wer­den, Teil einer kriminellen Organisation zu sein.

profil liegen die ersten Auswertungen der Daten-Schnitzeljagd vor. Sie erhärten den Verdacht gegen die Organisation, die unter Insidern als „Kajot-Gruppe“ bekannt ist – benannt nach dem Markennamen der Spielautomaten.

Verdacht 1: Illegales Glücks­spiel und Steuerhinterziehung

Ein zentraler Vorwurf gegen die Gruppie­rung lautet: Sie soll nicht nur illegales Glücksspiel betrieben haben, sie soll auch ihren Gewinn gegenüber Behörden gerin­ger dargestellt haben, also Steuern hinter­zogen haben. Es klingt zwar skurril, aber auch Betreiber von illegalem Glücksspiel müssen Abgaben bezahlen.

Ein Sachverständiger prüfte im Auftrag der Staatsanwaltschaft Wels nun die Fi­nanzen der Gruppierung und machte eine bemerkenswerte Entdeckung. Die Auto­maten dürften viel mehr Geld eingespielt haben, als die Betreiber in ihrer offiziellen Buchhaltung anführten.

Der Trick: Die Gruppierung erhöhte laut Gutachten nachträglich die Summen, die vorgeblich an Spieler ausgezahlt wurden. Dadurch reduzierte sich – zumindest dem Schein nach – der Gewinn der Betreiber.

Der Sachverständige erklärt in seinem Gutachten, wie er der Sache auf die Schli­che kam. Demnach „wurden nur die Aus­zahlungs-Werte für die Buchhaltung ma­nipuliert“. Die Auszahlungs-Daten der einzelnen Automaten seien nicht manipu­liert worden. Der Gutachter trocken:

,,Auf­grund dieses ,Fehlers‘ beim Manipulieren war es dem Sachverständigen relativ ein­fach möglich, die Manipulation nachzu­weisen.“

In insgesamt 37 Glücksspiellokalen der Gruppierung stellte der Gutachter Abwei­chungen zwischen der Buchhaltung und den Automatendaten fest, beginnend mit dem Jahr 2016.

Fazit:

,,Unzweifelhaft sind die Auszahlungsbeträge nachträglich ge­ändert worden, und zwar um 5,4 Millionen Euro“.

Diese Analysen decken sich mit der Aussage eines ehemaligen Mitarbeiters der Gruppierung, der in seiner Einvernahme als Erster von Manipulationen berichtete. Der Differenzbetrag zwischen dem vorge­täuschten und dem realen Gewinn soll als Schwarzgeld in eine Ledertasche gewan­dert sein.

Sollte es zu einer Anklage kommen, wird das Gutachten ein relevantes Beweisstück werden. Bei Abgabenhinterziehung dro­hen bis zu zehn Jahre Haft.

Der Anwalt des Hauptbeschuldigten be­zweifelt das 161-seitige Gutachten. Auf profil-Anfrage argumentiert er, das Gut­achten sei bereits durch „Experten“ über­prüft worden und halte keiner Überprü­fung stand. Die Namen der „Experten“ nannte er aber nicht.

Auch alle anderen Vorwürfe werden von den Beschuldigten mit Vehemenz zu­rückgewiesen, für sie gilt die Unschulds­vermutung. Obwohl die „Kajot-Gruppe“ in Österreich über keine Konzession verfügt, bestreitet der Anwalt des Hauptbeschul­digten, dass illegales Glücksspiel angeboten wurde. Aus seiner Sicht sind die Auto­maten „Geschicklichkeitsspiele“. Diese Rechtsmeinung ließ sich die Gruppierung vor Jahren auch von eigens beauftragten Gutachtern bescheinigen, und einige Ge­richte folgten dieser Argumentation. Teil­weise wurden von den Gerichten aller­dings dieselben Gutachter bestellt, die zuvor Aufträge von der Gruppierung er­halten hatten.

Der Sachverständige im aktuellen Er­mittlungsverfahren ist ein Softwarespezia­list und dürfte nicht auf der Payroll der „Ka­jot-Gruppe“ stehen. Seine Analyse der sichergestellten Automaten ergibt, dass die Geschicklichkeitskomponente „eine völlig untergeordnete Rolle spielt“. Gewinnen können Spieler am Automaten nur mit dem klassischen Walzenspiel, wie es in Glücksspielsalons üblich ist. Dieses Spiel hat laut Gutachter „keinerlei Geschicklich­keitskomponente“.

Verdacht 2: lnsiderinfos aus Behörden

Kaum jemand kennt das Geschäftsmodell der „Kajot-Gruppe“ besser als Wilfried Leh­ner. Der Job des Finanzpolizei-Chef ist es, illegale Glücksspiellokale aufzuspüren und Automaten zu beschlagnahmen. Vor der Razzia im Sommer 2021 war die Grup­pierung aus Oberösterreich laut Lehner

„umsatzmäßig und auch vonseiten des Außenauftritts mit Sicherheit die größte, aber auch offensivste, die derzeit in Öster­reich am illegalen Glücksspielmarkt agiert“.

Es gibt viele Thesen dazu, wie die „Kajot-­Gruppe“ so stark werden konnte, dass sie zu ihrer Hochphase bis zu 55 illegale Auto­matensalons mit einem geschätzten Jah­resgewinn von sieben Millionen Euro be­trieb. Eine davon findet sich im Akt: Die Betreiber hatten einen Informationsvor­sprung.

Die Ermittler verdächtigen gleich meh­rere Beamte, geheime Informationen an die Gruppierung durchgestochen zu ha­ben.

Schon länger war den Finanzpolizisten bei Razzien in illegalen Glücksspiellokalen aufgefallen, dass die Eingangstüren beim Eintreffen der Beamten bereits verriegelt und die Automaten abgedreht waren. Wurden die Betreiber gewarnt?

Dafür spricht eine WhatsApp-Gruppe namens „Finanz“, die Kriminalpolizisten auf den Handys der mutmaßlichen Ban­denmitglieder fanden. Darin wurden War­nungen über anstehende Kontrollen aus­getauscht, das klingt dann so:

,,Finanzamt ist in Haid unterwegs! Bitte die Mitarbeiter informieren.“

In Haid betrieb die Gruppie­rung ein Automatenlokal.

Zunächst ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen unbekannte Beamte. Nun verdich­tet sich eine Spur zur Stadt Linz: Der Ma­gistrat bestätigte auf profil-Anfrage, dass Ermittlungen gegen einen ihrer Mitarbei­ter eingeleitet wurden.

Im Akt finden sich Hinweise dafür, wo­rum es bei den Ermittlungen gehen dürfte: Ein früherer Mitstreiter der „Kajot-Gruppe“ beschuldigte bei seiner Einvernahme durch das Bundeskriminalamt einen Mit­arbeiter des Magistrats Linz. Der Bedienste­te soll mit einem Mitglied der Gruppierung ,,öfters auf ein Bier gehen“ und dem Ban­denmitglied erzählt haben, ,,dass die Fi­nanz sich jetzt um Kajot kümmert und wir aufpassen müssen“.

Verdächtig sind laut Ermittlungsakten auch Beamte der Finanzbehörden in Ober­österreich. Ein Zeuge, der in den Lokalitä­ten der „Kajot-Gruppe“ Stammgast war, sagte beim Bundeskriminalamt aus:

,,Wäh­rend meiner aktiven Spielzeit ( … ) hat mir die Mitarbeiterin ( … ) einmal erzählt, dass sie einen Anruf bekommt, falls eine Fi­nanzkontrolle stattfindet.“

Verdacht 3: Blaue Freunde

Der Glücksspiel-Gruppierung werden nicht nur gute Kontakte zu Beamten nach­gesagt – sondern auch in die Politik. Der Mann, den die Ermittler als Kopf der Bande verdächtigen, wird von Zeugen als „Freund“ des Welser FPÖ-Bürgermeisters Andreas Rabl bezeichnet. Im Vorfeld der Gemeinderatswahlen 2021 versah der Be­schuldigte sein Facebook-Profilbild mit einem Banner: ,,Team Rabl – FPÖ“. Der über 60-jährige Oberösterreicher hielt sich aus dem operativen Geschäft der Gruppierung weitestgehend heraus und soll stattdessen Strohmänner als Ge­schäftsführer haben, die offiziell für Geset­zesübertretungen ihres Betriebs haften. Die Ermittler versuchen nun mit Mails zu belegen, dass in Wahrheit er es war, der die Fäden zog.

Unbestritten ist, dass Rabl als Anwalt vor Jahren Kontroll­funktionen für zwei Unternehmen aus­übte, die das Bundes­kriminalamt der Or­ganisation zurechnet.

Außerdem war er in einer Stiftung tätig, die zur Gruppierung ge­hören soll. Rabl wird allerdings nicht als Be­schuldigter geführt.

Andreas Rabl / Bild CCO, via Wikimedia Commons (Ausschnitt)

profil liegt nun ein bisher unbekannter WhatsApp-Chat des Hauptbeschuldigten der mutmaßlichen Glücksspielorganisa­tion aus dem Dezember 2020 vor. Darin schreibt er an eine Vertraute:

,,also Rabl würde das Monaco kaufen … und uns ver­mieten als Kammerl“.

Das Monaco war eine Bar in Linz, als „Kammer!“ werden in der Branche kleine Automatenlokale bezeichnet, die ohne Gastronomie betrieben werden. Es gibt allerdings keinen Beleg da­für, dass es tatsächlich zu diesem Deal kam. Rabl sagt, er habe seit dem Jahr 2015, dem Jahr, als er Bürgermeister wurde, keinerlei Geschäftsbeziehung zu den Firmen oder dem Hauptbeschuldigten „angedacht, dis­kutiert oder gar unterhalten“. Der mut­maßliche Capo erklärte über seinen An­walt, es handle sich in der Nachricht um eine andere Person mit Namensgleichheit.

Das konzessionslose Spiel geht jedenfalls weiter: Zwar stellte die Gruppierung ihren Lokalbetrieb im Vorjahr ruhend, sie soll aber laut Akten bis heute ein illegales On­line-Casino betreiben. Damit profitiert die Organisation von der laschen Gesetzeslage. Das geplante IP-Blocking, das die Sperre solcher illegalen Gaming-Sites ermögli­chen würde, verstaubt seit Jahren im Finanzministerium.

Die unmögliche Reform

Die türkis-grüne Koalition ist bisher daran gescheitert, das geplante Glücks­spiel-Paket zu beschließen. Klappt es im Jahr 2023 wieder nicht, hat das Folgen – für Spieler und das Finanz­ministerium.

Das Jahr 2027 bereitet der Glücksspielabteilung im Finanzministerium bereits jetzt Sorgen. Dann nämlich laufen die meisten Glücks­spiellizenzen aus. Die Neu­vergabe ist derart aufwendig, dass die Fachabteilung dafür vier Jahre einplant, wie Finanzminister Magnus Brunner ( ÖVP) nun in einer parlamentarischen Anfrage­beantwortung an NEOS-Ab­geordnete Stephanie Krisper zugab.

Und das bringt uns ins Jahr 2023. Eigentlich wollte das Finanzministerium nichts mehr mit der Vergabe der Lizenzen von Casinos und Lot­terien zu tun haben. Eine un­abhängige Glücksspielbehör­de sollte her, die den Verga­beprozess ohne Anschein politischer Beeinflussung ab­wickelt. Spätestens seit der Ibiza-Affäre ist allzu viel Nähe zwischen Politikern und der Glücksspielbranche ein Tabu. Brunner an Krisper:

,,Dem BMF ist es weiterhin ein An­liegen, eine Ausschreibung im Rahmen einer unabhän­gigen Behörde durchzufüh­ren, bereitet sich parallel aber auch seriös auf eine mögliche Ausschreibung nach den be­stehenden Regeln vor.“

Die letzte Vergaberunde im Jahr 2011 endete für das Finanzministerium in einem Debakel, weil das Bundesver­waltungsgericht die Vergabe von drei Casinolizenzen im Jahr 2015 aufhob – die Ent­scheidungskriterien waren schlicht nicht nachvollzieh­bar. Seither hat sich kein Mi­nister mehr getraut, diese drei Lizenzen auszuschreiben.

Laut dem türkis-grünen Zeitplan sollte es die neue Glücksspielbehörde längst geben, sie war für das Jahr 2021 versprochen, als Teil eines größeren Pakets, mit dem die Regierung die Spie­lerschutzstandards erhöhen und illegale Gaming-Ange­bote im Internet blockieren wollte. Zuletzt waren die Posi­tionen von ÖVP und Grünen allerdings so festgefahren, dass nicht einmal mehr Verhandlungstermine vereinbart wurden.

Die grüne Verhandlungs­führerin Nina Tomaselli weiß, wie wichtig dem Finanzmi­nister die Glücksspielbehörde ist, und versucht, im Abtausch ein grünes Anliegen durch­zubringen: Sie will die ma­ximalen Spieleinsätze deut­lich senken. Zehn Euro kön­nen Spieler derzeit pro Tastendruck in Automaten­salons verzocken, eine Runde dauert bloß wenige Sekunden. Tomaselli will auch längere Abkühlphasen zwischen den Spielen. Die ÖVP ist skeptisch.

Scheitert die Regierung auch dieses Jahr an der Reform, muss das Finanzministerium wohl oder übel millionen­schwere Lizenzen wie jene für Lotteriespiele und Online-­Glücksspiele ausschreiben. Bei­de Lizenzen werden aktuell von den Österreichischen Lotterien und ihrer Tochter win2day ge­halten, die freilich längst nicht mehr nur österreichisch sind, sondern unter tschechischem Kommando stehen.

Die Nichtreform hat aber auch Folgen für Spieler, weil der gesetzlose Zustand im Internet prolongiert wird. 212 Millionen Euro haben illegale Anbieter von Online-Glücks­spielen im Jahr 2021 an Spie­lern verdient. Das weiß das Finanzministerium deshalb so genau, weil auch für ille­gales Gaming die Glücksspiel­abgabe von 40 Prozent fällig wird. Die Summen beruhen aber bloß auf Eigenauskünf­ten der Betreiber, sie sind also eher als Unterkante zu lesen.

Die Behörden beschränken sich derzeit darauf, Steuern von den Illegalen einzutrei­ben. Ein echter Gamechanger wäre das IP-Blocking, mit dem die Behörden die Websites illegaler Casinos für Nutzer aus Österreich sperren könn­ten. Das Gesetz wurde bereits vom Vorvorgänger von Brun­ner vorangetrieben, von Hartwig Löger. Es soll am internen Widerstand des damaligen Vizekanzlers Heinz-Christian Strache ge­scheitert sein.

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